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Die Türkei hat gewählt

Recep Tayyip Erdoğan ist seit dem 28. August 2014 der zwölfte Präsident der Republik Türkei und damit dessen Staatsoberhaupt. Die Türkei ist als Staatsform eine parlamentarische Republik.
Eine Republik ist nach allgemeinem Verständnis eine Staatsform, bei der die Regierenden für eine bestimmte Zeit vom Volk oder von Repräsentanten des Volkes gewählt werden. Das Staatsvolk stellt in einer Demokratie die höchste Gewalt des Staates und oberste Quelle der Legitimität dar.
Als parlamentarisches Demokratie bezeichnet man jene Form parlamentarischer Systeme, in denen die Regierung zu ihrer Wahl, und in ihrer Amtsausübung, auf die direkte oder indirekte Unterstützung durch das Parlament angewiesen ist. Zudem haben unterschiedliche parlamentarische System auch unterschiedliche Merkmale und Klassifikationen, keines der Staatssysteme ist jedoch wie ein anderes.

Dennoch gibt es in allen parlamentarischen Systemen Sekundärmerkmale in Ausprägung der doppelten Spitze der Exekutive – also zwei Exekutive-Oberhäupter; neben dem Regierungschef tritt der Staatschef.
Der gesamte zentrale Rechtsbestand wird in Demokratien über zentrale Rechtsdokumente geregelt, die man als Verfassung bezeichnet. Dieses Grundgesetz regelt den grundlegenden organisatorischen Staatsaufbau, die territoriale Gliederung sowie zahlreiche wichtige Rechte und Pflichten.
Die auf diese Weise konstituierten Staatsgewalten sind an die Verfassung als oberste Norm gebunden und ihre Macht wird durch diese begrenzt. Die verfassunggebende Gewalt geht in demokratischen Staaten vom Staatsvolk aus.
Um es auf den Punkt zu bringen: In demokratischen Staatsformen ist die Macht von Staatschef, Regierungschef und auch die der Parlamente beschränkt. Um die Verfassung und damit das gesamte Staatsgefüge zu ändern, dazu bedarf es in der Regel ein Votum des Staatsvolkes.

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Diese Konstellation besteht auch in der Türkei. Erdogan, zunächst Oberbürgermeister von Istanbul, dann Ministerpräsident und nun Staatspräsident, hat gemäß Verfassung nur beschränkte Macht. Diese möchte er gern erheblich erweitern, die Gründe dafür sollen jedoch nicht in meinem Beitrag behandelt werden. Erdogan möchte dazu ein Präsidialsystem in der Türkei einführen.
Ein präsidentielles Regierungssystem ist ein Regierungssystem, bei dem ein Präsident die Funktionen des Staatsoberhauptes, des Regierungschefs und regelmäßig auch des militärischen Befehlshabers innehat. Ein solches System ist durch eine ausgeprägte Gewaltenteilung und -trennung gekennzeichnet. Anders als beim parlamentarischen Regierungssystem wird deshalb auf die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber dem vom Volk gewählten Parlament verzichtet. Welche Rechte und wie viel Macht dem Präsidenten zugebilligt wird ist dennoch Bestandteil einer Verfassung. Diese müsste in der Türkei geändert werden, damit Erdogan das präsidiale Regierungssystem einführen will.
Dazu hat die Türkei am 16. April 2017 ein Verfassungsreferendum durchgeführt. Beim diesem entschieden die Wähler darüber, ob das 18 Punkte umfassende verfassungsändernde Gesetz Nr. 6771 im Wesentlichen voraussichtlich im November 2019 in Kraft treten soll und damit insgesamt 69 Artikel der Verfassung geändert werden. Die Wähler hatten nur die Möglichkeit zwischen Ja und Nein zu wählen. Diese Wahl hatte bereits Wochen zuvor zu erheblichen politischen Meinungsverschiedenheiten und Verstimmungen zwischen der Türkei auf der einen Seite, Deutschland, den Niederlanden sowie weiteren EU- Staaten auf der anderen Seite, geführt.
Dennoch muss diese Wahl als demokratischer Akt gesehen werden. 51,4 Prozent der Türken hatten sich am Sonntag für das Präsidialsystem ausgesprochen, fast genauso viele (48,8 Prozent) dagegen. Ein politisch geteiltes Land, doch auch kleine Mehrheiten sind Mehrheiten in einer Demokratie. Ich möchte diese Wahl in der Türkei hier auch nicht kommentieren und schon gar nicht bewerten.
Es ist eine ganz einfache Weisheit: Was andere Nationen in ihrer Autonomie in demokratischen Prozessen entscheiden, muss uns Deutschen und den anderen EU-Ländern nicht gefallen. Wir können es zwar kommentieren, eine Bewertung steht uns jedoch nicht zu. Die Autonomie eines jeden Staates ist unantastbar, so lange das staatliche Handeln nicht die Autonomie anderer Staaten beschneidet, einschränkt oder gar gefährdet.
Natürlich ist es jedoch unser Recht, diplomatische, politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Ländern, die nicht unseren demokratischen Werten entsprechen, den Gegebenheiten anzupassen. Dennoch haben wir den Wählerwillen anderer Demokratien zu achten und nicht in Frage zu stellen.
Der Türkische Wähler hat entschieden. Er wird sicherlich einen hohen Preis dafür zahlen, dass sich die Türkei vom demokratischen Rechtsstaat entfernt. Europäische Touristen werden wohl auf lange Zeit ausbleiben, Neuinvestitionen aus EU-Ländern stark zurückgehen, ein EU- Beitritt in weiter Ferne rücken, Förder- und Unterstützungsgelder aus der EU kaum noch fließen, die Wirtschaft wird wohl zunehmend schwächeln und vieles mehr. Aber das alles haben die Türken gewusst und dennoch so entschieden – ihr gutes Recht.
Wir Deutschen und wir Europäer sollten dennoch nicht alles hinnehmen, was eine zunehmend muslimisch geprägte Türkei an politischen Entwicklungen hervorbringt. Selbstbewusste Antworten sachlicher und diplomatischer Art sind erforderlich, ohne jedoch das Band der Zusammenarbeit zu zerschneiden.
Wunderschöne Urlaubsziele gibt es viele auf dieser Welt. Auch an Textilherstellern besteht kein Mangel. Die Flüchtlingskrise muss die EU ohnehin allein lösen. Dennoch eine ständige weitere Verschärfung der Beziehungen ist keine Antwort und wir Deutschen sollten nicht ständig den Oberlehrer-Finger heben. Die türkische Bevölkerung hat eine andere kulturelle Entwicklung als Westeuropa. Das ist unstrittig und sollte endlich akzeptiert werden.
Viel zu lange hat die deutsche Politik, allen voran die Grünen und die Sozialdemokraten – Christdemokraten und Linke haben nachgezogen – eine Multikulti-Politik betrieben, die von gutmenschlichen Ideen, jedoch ohne jedes Konzept, betrieben wurde.
Die Türken, die einstmals als Gastarbeiter kamen, weil die Bundesrepublik sie als Arbeitskräfte gebraucht hat, wurden mit ihrer fremden Kultur allein gelassen. Wir alle kennen türkische oder türkisch-stämmige Menschen: Viele haben sich „integriert“ viele nicht. Die wir kennen sind nett und sympathisch, die hier nicht angekommen sind, die kennen wir auch kaum. Es wurde von der Politik über Generationen versäumt diese Menschen, für die unser Kulturkreis so fremd ist, zu integrieren. Ich kann dieses Wort nicht mehr hören! Wir haben versäumt dafür zu sorgen, dass die Türken in unserer Gesellschaft ankommen. Sie fühlen sich fremd und nicht gewollt. Liegen sie da so falsch? Die Politik war und ist der Meinung „Multikulti“ ist toll, bereichert unsere Gesellschaft. Wie sich die Türken gefühlt haben hat keinen interessiert. Angst vor Fremden gibt es in jeder Kultur, das ist einfach menschlich. Diese Ängste können nur durch Annäherung, durch Kennenlernen von Menschen und Kulturen abgebaut werden.
Doch dazu ist es notwendig mitunter auch etwas Druck auszuüben. Wer in einem Land lebt und dessen Sprache nicht oder nicht gut spricht, hat wenig Chancen zu Kontakten außerhalb seines Kulturkreises.
Es stellt sich nun die Frage: Warum haben beim türkischen Verfassungsreferendum die Deutsch-Türken mit großer Mehrheit für das Präsidialsystem gestimmt, wo hingegen die Abstimmung in der Türkei dafür nur ganz knapp war. So lag die Zustimmung zu Erdogans Referendum in Deutschland bei durchschnittlich gut 63 Prozent und die Deutsch-Türken haben damit vielleicht sogar die Wahl mitentscheiden, aber zumindest erheblich beeinflusst.
Warum haben diese Menschen so entschieden, wie sie entschieden haben. Sie leben in Deutschland, mit allen Vorteilen unsere demokratischen Gesellschaft und ihr Lebensstandard ist erheblich höher als in der Türkei. Auch waren es nicht nur die „Abgehängten“, die „Nichtintegrierten“, es waren auch viele gut Integrierte, die mit Ja gestimmt haben. Was läuft falsch, dass sich Menschen, die in einer Demokratie und einem Rechtsstaat leben, die Demokratie in ihrem Herkunftsland abschaffen wollen?
Ist es mangelndes Demokratieverständnis? Sind es die Relegionsunterschiede und die der Kultur? Deutschland muss nun dringend gegensteuern, es muss fördern und fordern. Warum gibt es in Deutschland die Möglichkeit von zwei Staatsbürgerschaften. Einwanderer, auch wenn dieser Begriff bei uns politisch unkorrekt ist, müssen sich entscheiden. Wer unser Grundgesetz nicht leben will, für dem haben wir keinen Platz. Wer jedoch unsere demokratischen Werte achtet und lebt, der sollte mehr Unterstützung bekommen, doch dafür müssen wir uns alle einsetzen.
Die Politik hat versagt und sie versagt weiterhin. Multikulti ist gestorben: Es lebe die Vielfalt von Kulturen, deren gemeinsame Sprache Deutsch ist, die auf dem Boden unserer Demokratie ihr Leben gestalten, deren Religiosität frei aber Privatsache ist, die andere Kulturen achtet und kulturelle Kompromisse sucht, die jedoch unsere deutsche Leitkultur ohne Abstriche anerkennt und Beiträge zum Wohl der Gesellschaft und des deutschen Staates leistet.
Lasst uns damit anfangen – sofort – dann misslingen die Vorhaben von Erdogan und anderen islamischen Autokraten, die Europa schon jetzt als Vorhof ihres künftigen Machtbereiches sehen und ausrufen. Erdogan hat dazu ganz unverhohlen gesagt: „Was sie (die Europäer; Anm.) auch tun es ist vergeblich. Die Zukunft Europas werden unsere fünf Millionen Brüder formen, die sich aus der Türkei dort angesiedelt haben. Für Europa, dessen Bevölkerung altert, dessen Wirtschaft erlahmt und dessen Kraft versiegt, gibt es keinen anderen Ausweg.“




Eigentlich sollte mein Beitrag hier enden. Doch die allgemeine Berichterstattung und besonders die Äußerungen von führenden deutschen Politikern veranlassen mich noch zu weiteren Ausführungen.
Statistiken werden herangezogen um die Probleme zu verniedlichen. Was Statistiken aussagen, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden oder interessenbedingt dargestellt werden, darüber hatte ich schon in einem anderen Beitrag berichtet. 2,8 Millionen Türken leben in Deutschland, so die Zahlen. Das sind dann also Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft oder nur mit der türkischen. Dennoch sind es erheblich mehr Menschen, denn viele türkischstämmigen haben nur die deutsche Staatsbürgerschaft, die konnten jedoch nicht wählen. So sollte man denken, ist aber nach den veröffentlichen Zahlen nicht so. Von den 2,8 Millionen Türken, die in Deutschland leben haben angeblich nur 1,4 Millionen die türkische Staatsbürgerschaft. Da ergibt sich die Frage: 1,4 Millionen Türken ohne türkische Staatsbürgerschaft? Wenn diese die deutsche Staatsbürgerschaft haben, so sind es doch Deutsche, oder liege ich da falsch? Von diesen 1,4 Millionen Türken haben nur 700 000 an der Wahl teilgenommen. Von diesen haben 400 00 für die Präsidialverfassung gestimmt und 300 000 dagegen.
Die Schlussfolgerung aus diesen Zahlen ist in zahlreichen Medien: Von 2,8 Millionen Türken haben nur 400 000 Erdogan den Rücken gestärkt, also nur um die 15 Prozent. Wir sehen hier, wie blanke Zahlen genutzt werden können um eigenen Interessen zu dienen.
In Deutschland heißt es offiziell ständig: Wer nicht wählt stärkt damit den politischen Gegner. Das trifft anscheinend auf Türken nicht zu. Hätten die 1,4 Millionen türkischer Nichtwähler? gegen Erdogan gestimmt, wäre die Wahl zu Gunsten der Erdogan-Gegner gekippt.
Zudem: Wenn nur etwa 15 Prozent pro Erdogan sind, weshalb wird dann von einer Spaltung der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland geredet?
Weitaus schlimmer als solche Zahleninterpretationen finde ich die Aussagen zahlreicher Politiker zu diesem Thema. Besonders die Grünen drängen mit Statements in die Medien: Bundestagsabgeordneter Özcan Mutlu sieht die Schuld bei den Deutschen. Sinngemäß prangert er an, dass es zu wenig deutsch-türkische Lehrer an den Schulen gibt. Lehrerinnen mit Kopftuch lehne ich jedoch ab! Im Übrigen glaube ich nicht, dass Lehrerstellen nach Herkunft besetzt werden., sondern nach Qualifikation. Sollen weitere Quoten folgen: eine Türkenquote, eine Syrier-Quote usw.? Zudem beklagt Mutlu das keine Imame in Deutschland ausgebildet werden, was so nicht stimmt. Soll Deutschland Zwangsquoten für Imam-Ausbildungen beschließen? Wer interessiert sich für die vielen christlichen Kirchen In Deutschland die keinen Pfarrer oder Priester mehr haben? Zwingend erforderlich ist nur, besonders für die Integration, dass in deutschen Moscheen auch ausschließlich deutsch gepredigt wird.
Noch drastischer drückte sich die als Multikulti-Fan bekannte Claudia Roth, Bundestagsvizepräsidentin, aus: In einem Interview mit der Welt gibt sie den Deutschen die Schuld an der Erdogan-Zustimmung der Deutsch-Türken. Zudem zeigt Roth außerdem dafür Verständnis, wenn Türken nicht Deutsch sprechen. Das sei „nachvollziehbar“, weil man den Menschen über Jahre vermittle, dass sie irgendwann ohnehin wieder in die Türkei zurückgehen müssten.
Was soll man dazu noch sagen? Es ist heutzutage üblich geworden, die Schuld am eigenen Versagen anderen zu geben, doch Frau Roth setzt diesem misslichen Trend immer aufs Neue die Krone auf. Da hilft nur eins: Kein Kreuz mehr auf dem nächsten Wahlzettel!

Von Diplomatie und Völkermord – Türken und Armenier / Deutsche und Hereros

Am 2. Juni 2016 beschloss der Deutsche Bundestag mit einer Gegenstimme und einer Enthaltung, auf Antrag der Fraktionen von CDU/CSU, SPD und Grünen, die Resolution „Erinnerung und Gedenken an den Völkermord an den Armeniern und anderen christlichen Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916“. Bundeskanzlerin Merkel, Vizekanzler Gabriel und Außenminister Steinmeier hatten nicht an der Debatte teilgenommen.
Um es verständlich auszudrücken: Deutschland unterstellt gemäß dieser Resolution der Türkei in den Jahren 1915/16 einen Völkermord an der Minderheit der Armenier. Eine Bewertung dieser Massaker und Deportationen nach Beginn des Ersten Weltkrieges möchte ich hier nicht vornehmen – das ist nicht der Sinn meines Beitrages.
Diese Resolution über die Bewertung eines realen geschichtlichen Ereignisses, das vor 100 Jahren stattgefunden hat, wurde verabschiedet, obwohl die daraus resultierenden diplomatischen Verwicklungen mit der Türkei vorhersehbar waren.
Damit man mich nicht falsch versteht: Ich möchte hier nicht Position für die Türkei beziehen. Dennoch sehe ich in diesem deutschen politischen Parlaments-Akt als eine gewisse Provokation der Türkei. Vor allem aber passt er in das derzeitige populistische Handeln – das teilweise an Selbstherrlichkeit grenzt – unserer Regierung und Teile unseres Parlamentes.
Geschichte ist wichtig, sie ist auch eine bedeutende Wissenschaft, doch zu allen Zeiten wurde sie von den jeweils Herrschenden geschrieben. Über Geschichte zu urteilen sollte Sache von Historikern sein, nicht von Politikern. Und wir sollten aus der Geschichte lernen! Dazu sagte schon der alte Philosoph Hegel: „Was die Erfahrung aber und die Geschichte lehren, ist dieses, dass Völker und Regierungen niemals etwas aus der Geschichte gelernt und nach Lehren, die aus derselben zu ziehen gewesen wären, gehandelt haben.“
Was ich damit vor allem sagen möchte: Uns geht es noch gut in Deutschland, wir sind jedoch eingebettet in Europa sowie in die globale Welt. Und da gibt es Probleme genug – große Probleme. Zu deren Lösung sollte unsere Politik Beiträge liefern. Das ist zwar sicherlich in vielen Fällen unpopulär, dennoch notwendig. Durch derartige Resolutionen wie „Völkermord der Türkei“ wird nichts, aber auch gar nichts positives bewirkt. Ein solcher Bundestagsbeschluss kostet nur sehr viel Geld, mehr nicht. Ähnliches wäre zur derzeitigen Russlandpolitik und vielen andern Politikfeldern zu sagen.

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Wir sollten aufhören anderen Ländern und Kulturen unsere Lebensweise und unsere kulturellen Werte auf zu doktrinieren. Ob unsere Gesellschaftsform andern überlegen ist wird sich erst in Zukunft erweisen. Wer hier bei uns in Deutschland lebt oder leben möchte, hat unserer Regeln und Gesetze einzuhalten: ohne Wenn und Aber. Auch möchte man unsere kulturellen Werte achten und sich daran orientieren. Uns in die Kultur anderer Länder einzumischen, steht uns jedoch nur in ganz beschränktem Umfang zu.
Auch hätte man bei der „Völkermord-Resolution“ bedenken sollen, dass Deutschland im Ersten Weltkrieg der engste Verbündete der Türkei – des Osmanischen Reiches – war, und somit auf die „Armenienfrage“ sicherlich Einfluss gehabt hätte. Zumindest war Deutschland wissend und billigend beteiligt.
Und Deutschland selbst sollte – ohne den Zweiten Weltkrieg in Betracht zu ziehen – nicht mit Steinen werfen. Denn da ist beispielweise der Herero-Aufstand. Die Hereros sind ein südwestafrikanisches Hirtenvolk von heute etwa 120.000 Menschen. Die Mehrheit von ihnen lebt in Namibia, einige auch in Botswana und Angola. Siedlungsgebiet der Hereros war im 19. Jahrhundert Südwest-Afrika. Das wurde 1884 – nach Anerkennung durch die britische Krone – deutsche Kolonie (formalrechtlich Deutsches Schutzgebiet) unter der Bezeichnung Deutsch-Südwestafrika. Zuvor schloss der Kaufmann Franz Adolf Eduard Lüderitz einen Vertrag mit einheimischen Stammesältesten, der Grundlage späterer deutscher Kolonialherrschaft wurde. Dieser Vertrag, in dem Lüderitz die Hereros über den Tisch zog, wie man heute zu sagen pflegt, kann als Ursache für die später folgenden Ereignisse angesehen werden.
Zunächst gab es ein gutes Einvernehmen zwischen der deutschen Kolonialverwaltung und den Hereros. Dieses Hirten-Volk war ein stolzes Volk und wenig geneigt sich unter zu ordnen. Zudem kam es zu ständig zunehmender Diskriminierung, Missionierung, Unterdrückung und Ausbeutung der einheimischen Bevölkerung. Auch müssen die deutschen Kolonialherren die Hereros-Frauen als sexuelles Freiwild angesehen haben. Die Hereros verarmten zunehmend, mussten um zu überleben ihr Land verkaufen und waren zur schlechtbezahlten Lohnarbeit auf deutschen Farmen gezwungen.
Ähnlich erging es auch dem Volk der Nama, die Großteils südlich von den Hereros siedelten und von den deutschen Kolonisten abwertend als Hottentotten bezeichnet wurden.
Die Ausbeutung, Unterdrückung und Diskriminierung der Hereros – verbunden mit deren ureigenem Stolz – führte im Jahr 1904 zu ersten kleinen Aufständen, dessen Auslöser Ungeschicklichkeiten der deutschen Kolonialverwaltung waren. Diese ging nicht auf die Unzufriedenheit der Einheimischen ein und ließ auch deren Beschwerden nicht gelten.
So kam es anfänglich zu ersten kleineren Angriffen der Hereros auf deutsche Siedler und Farmer. Jedoch auch diese Signale wurden nicht erkannt, falsch eigeschätzt und eine Kommunikation mit den Aufständischen abgelehnt. Die Hereros waren gut organisiert und sogar zum Teil mit Schusswaffen ausgerüstet. Es kam zu einem „Herero-Aufstand“ in dessen Verlauf zahlreiche Farmen und Siedlungen von Deutschen zerstört wurden und etwa 150 deutsche Männer ermordet wurden. Die Hereros waren den deutschen Siedlern und den geringen kolonialen Schutztruppen zahlenmäßig weit überlegen.
Das Deutsche Reich reagierte auf diesen Aufstand mit der Entsendung eines „Expeditionskorps“ von 15.000 Mann unter dem Befehl von Lothar von Trotha. Die Deutschen Militärs unternahmen keinen Versuch den Aufstand friedlich zu beenden und noch weniger die Probleme der Hereros zu lösen. Stattdessen richtete von Trotha einen „Aufruf an das Volk der Hereros“ in dem der die Aufständischen zur bedingungslosen Kapitulation sowie zur Auslieferung der Anführer aufforderte. Als die Hereros das ablehnten, kündigte von Trotha die Vertreibung des Volkes und die Tötung männlicher Hereros an. Unter seinem Kommando kam es zur Schlacht am Waterberg, in der die in jeder Hinsicht unterlegenen Einheimischen eine vernichtende Niederlage hinnehmen mussten. Die geschlagenen Hereros flohen vor den deutschen Truppen in die Trockensavanne von Omaheke und wurden dort von den wenigen umliegenden Wasserstellen vertrieben, Zehntausende verdursteten auf der Flucht. Etwa 80 000 Hereros kamen dabei um – wurden umgebracht oder ermordet, was etwa 80 % dieses Volkes ausmachte.
Zum 100. Jahrestag der Schlacht am Waterberg im August 2004 hat die deutsche Ministerin für Entwicklungszusammenarbeit Heidemarie Wieczorek-Zeul vor Ort der Toten gedacht und sich dabei erstmals zur politischen und moralischen Schuld der deutschen Kolonialverwaltung bekannt. Seit dem 10. Juli 2015 erkennt die Bundesregierung die damaligen Ereignisse angeblich als Völkermord an. Eine Resolution dazu erfolgte nicht, auch keine Entschuldigung oder Widergutmachung.
Hundert Jahre wurde dieser Völkermord ignoriert und totgeschwieg. Auch heute noch wird der Hereros-Aufstand von Bundesregierung und Bundestag kaum thematisiert. Den Medien ist dieses Thema höchstens einmal eine Randnotiz wert. Die Bundesregierung verhandelt zwar nach eigenen Aussagen mit dem heutigen Namibia, Ergebnisse sind aber wohl bisher weitgehend eine Fehlanzeige.
Hätte unsere Regierung und unser Bundestag in dieser Situation nicht besser den Ball flach halten, und erstmal vor der eigenen Tür kehren sollen?